abbraccio_radices agere _ wurzeln schlagen _ part 3

Les Halles. EAC. L’espace d’art contemporain Porrentruy. CH. 2015

abbraccio_radices agere _ wurzeln schlagen _ part 3

Kontext

Der Hof von Les Halles, Porrentruy, wird mit Bäumen und Sträuchern in grossen Plastiktöpfen bespielt. Die Pflanzen stammen aus einer Baumschule, wo sie zum Verkauf stehen. Die Bäume schlagen an diesem Ort nicht Wurzeln sondern formieren sich zu einem ephemeren Hain. Ein schmaler Weg durch diese Anlage führt zum Eingang des Gebäudes, der Ausstellung im Innenraum. Das Blätter- und Ästedach spendet Schutz und Schatten.

Der Hof wird durch unsere Intervention als sinnlicher Grenzraum wahrgenommen. Heterotopien, nach Michel Foucault, sind wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. In dem Sinn soll unser Ort zum Andersort werden.

Abbraccio

Der Titel Abbraccio, Umarmung, steht sinnbildlich für diesen Zwischenraum. Die Durchgehenden werden umarmt.

Das Wort „Ast“, im Hinblick auf unsere Bäume und Büsche, ist im Wortstamm enthalten. 

Mit einer Umarmung dringt man in die intime Distanzzone eines anderen Menschen ein.

Umarmungen haben etwas Verzweifeltes, Liebendes, Annehmendes, manchmal auch was Tödliches. 

Eine Umarmung ist nicht nur körperlich spürbar. Wenn wir jemanden in den Arm nehmen, wird das Hormon Oxytocin freigesetzt, dass für das behagliche Gefühl im Bauch sorgt. Oxytocin wird auch mit sozialer Bindung in Verbindung gebracht. Oxytocin ist ein Neuropeptid, das Gefühle wie Hingabe, Vertrauen und Bindung fördert. Es ist der biologische Grundstein für Verbindungen mit anderen Menschen.

Liebesmittel

Durch diese Feststellung bewegen wir uns schon im Bereich der Liebesmittel. Die von uns ausgewählten Pflanzen, hier die Bäume und Büsche, dienen alle zur Förderung der Liebesfähigkeit. Aphrodisiaka, Potenzmittel, Fruchtbarkeitsmittel, Liebeszauber und Liebestränke wie auch Antiaphrodisiaka und Liebestöter können daraus hergestellt werden. 

Liebe als Erfahrung im Grenzbereich. Verliebt sein als Zustand der Ausnahme. Grenzerfahrung des Seins. Rausch. Trunken vor Liebe. Blind. Schmachten. Anhimmeln. Begehren. Wünschen. Liebestoll. Verrückt. Entflammt. Im siebten Himmel. Auf Wolken schweben. Sein Herz verloren. Heillos. Rettungslos. Hin und weg. Hoffnungslos. Zu Füssen liegen. Anbeten. Vergöttern. Die Redewendungen aus unserer Umgangssprache weisen auf den Ausnahmezustand hin.

Hain

Die Form und das Wort Hain faszinieren mich, lassen mich nicht los. Ich möchte damit arbeiten. Ich bin der Bedeutung des Wortes nachgegangen. 

Der Hain ist ein kleiner lichter Wald, der häufig wie ein Park besonders gepflegt wird oder der Verehrung einer Gottheitdient.

Das Wort Hain entstand im 14. Jahrhundert aus mittelhochdeutsch hagen für „gehegter Wald“, als eine Variante von Hag und gilt in dieser Bedeutung heute als veraltet. 

Liebeshain: Liste der Bäume 

Apfelbaum

Buche

Buchs

Birke

Eibe

Eiche

Eberesche (Vogelbeere)

Feige

Fichte

Flieder

Gewürzlorbeer

Ginkgo

Granatapfel

Hasel

Heckenrose

Holunder

Judasbaum

Kastanie

Kiefer

Kirsche

Linde

Mandelbaum

Myrte

Olivenbaum

Palme

Pfirsichbaum

Quitte

Stechpalme

Sechuanpfeffer

Tanne

Tamariske

Wacholder

Walnuss

Weide

Zeder

Zypresse

Christiane Hamacher in Zusammenarbeit mit Isabel Moesch. Gartengestalterin. August 2015

Im Rahmen von

UTOPIE & Réalité: Au-delà des frontières: Activisme

November 2015

Charlatan

avec

compagnons et amies

Jean-Damien Fleury

Olivier Suter

Christiane Hamacher & Isabel Moesch

Jeremy Narby

Pro Natura

Javier Téllez

Grenzen und Grenzräume sind seit menschengedenken Räume besonderer Art und Grenzüberschreitungen eine Notwendigkeit. Gerade in der Zeitgenossenschaft besitzt dieser Themenbereich, sei es in politischer und sozialer Hinsicht als auch als Naturraum und Lebensraum eine besondere Brisanz und Bedeutung.

Was vermag der menschliche Geist zu denken und hoffen und wie sieht es im Realen aus; im sozialen Umfeld, im natürlichen Umraum.

Diesem Themenkomplex widmet sich eine Ausstellung, die nicht nur den Innenraum als deklarierten Raum der Künste für sich beanspruchen will, sondern grenzüberschreitend in den Aussenraum weitergreift: in den Hof des Hôtel les Halles weiter in den Stadtraum von Porrentruy bis hin zum Musée jurassien des sciences naturelles.

Leitmotivisch wird das Inbild der Mauer im Raum Hôtel les Halles durch Eingriffe mittels Landschafts- und Gartengestaltung übermittelt, um Grenzen und Grenzräume als lebendiges Gebilde erfahrbar zu machen. Sinntragend und auch sinnvoll wird als permanentes Zeichen eine Trockenmauer für das Umfeld des Musée jurassien des sciences naturelles errichtet und somit im Kontext einer weiteren kulturellen Institution der Themenbereich der traditionellen Trockenmauer in Korrelation mit zeitgenössischen Themen zur Diskussion gestellt.

Die Gruppenausstellung sucht Grenzen als solche zu thematisieren: Grenzen zwischen Ländern, Grenzen in Räumen, Grenzen zwischen sozialen Schichten und Geschlechtern wie auch Grenzräume als Räume besonderer Art und Auszeichnung.

Die Ausstellung versteht sich selbstverständlich grenzüberschreitend vom Hof des Hôtel les Halles ausgehend (Christiane Hamacher & Isabel Moesch) in den white cube des espace d’art weiterführend (Javier Téllez) wie ebenso in den Espace Viatte (Jean-Damien Fleury). Es finden sich Projektionen an den hofseitigen Wänden (Jean-Damien Fleury) als auch Interventionen in den 4 Vitrinen im Raum Hôtel les Halles (Charlatan avec Olivier Suter & Jeremy Narby).

Geplant ist, statt einer 20 Meter langen Trockenmauer im Hof les Halles, einen vegetabilen Grenzraum zu errichten und die Trockenmauer als sinnvolles Gebilde im Kontext eines Museums zu verankern. Im Hof les Halles finden sich Projektionen von Charlatan (Jean-Damien Fleury) über die Geschlechterdifferenz. Die Vitrinen des Hofes werden von Charlatan (Olivier Suter, Jeremy Narby und Philippe Queloz) bespielt. Sie thematisieren den Themenkomplex in visuell-theoretischer Form. Im Espace Viatte findet sich eine Installation mit Literatur aus den letzten drei Jahrhunderten; aufgeschlagene Bücher mit den entscheidenden Zitaten über die Geschlechterdifferenz. Diese drei Interventionen/Installationen bilden den Auftakt für die Journée professionelle des archivistes suisses am 5. September 2015.

Anlässlich der Vernissage in der folgenden Woche finden gleichzeitig die Journées du Patrimoine statt, die von NIKE organisiert werden. Im Ausstellungsraum Les Halles findet sich die Videoprojektion One Flew over the Void (Bala perdida), 2005, des Venezuelaners Javier Téllez.

One flew over the Void (Bala perdida)

Javier Téllez 2005

One Flew over the Void (Bala perdida) documents a parade organized by Javier Téllez in Las Playas, on the border of Tijuana and San Diego. The event featured ordinary citizens, visitors to InSITE (the periodic exhibition for which the work was produced), and patients from a local psychiatric hospital (the last disguised behind animal masks and wielding signs protesting various injustices). The performance ends with a human cannonball being shot over the border into the United States, a defiant act that transgresses social and political boundaries literally and figuratively, underscoring the hardships faced by the millions of Mexican and Central American workers who cross the border illegally every year in search of a better life.

Details

  • Titel: One flew over the Void (Bala perdida)
  • Ersteller: Javier Téllez
  • Datierung: 2005
  • Abmessungen: edition 8/8, originally commissioned by InSITE 05, August 26–November 13, 2005
  • Typ: Film/Video
  • Rechte: Copyright: Javier Téllez
  • Externer Link: Guggenheim UBS MAP Global Art Initiative
  • Material: Digital color video, with sound, 11 min., 30 sec.