Galerie Imoberdorf. Murten. CH. 2007

Acrylic on wall. Drawings. Video

Photos Primula Bosshard

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung von Christiane Hamacher in der Galerie Im Oberdorf, Murten, 21.Januar 2007

Wir bewegen uns vor bewegten Bildern. Es sind Bilder, die sich jeder Eindeutigkeit entziehen. Es sind in dem Sinn listige Bilder – wenn man denn nicht gar das Wort „hinterlistig“ verwenden will: Sie hintergehen sogar die List mit List.

Das will selbstverständlich erklärt sein.

Komme ich zum Raum hinein, öffnet sich sogleich an der Wand eine weite Landschaft. Der Blick wird in die Ferne gezogen, dann aber unmittelbar wieder arretiert, irritiert durch die beiden rahmenden Flügelräder.

Sie eröffnen eine erste Ebene der Irritation. Was haben Landschaft und Flügelrad miteinander zu tun? Oder sind die Flügelräder einfach eine Art Rahmen in der Art, wie Christiane Hamacher in ihrer zweiten Wandarbeit im hinteren Raum den Mini-Screan umrahmt und so zu einem opulenten, geradezu barocken Wandstück gemacht hat?

Kommt noch eines hinzu: Die Flügelräder könnten zugleich Flammenräder sein, explodierende Ungetüme, die den Explosionen in der Wohnzimmeridylle im hinteren Raum entsprechen.

So betrachtet, wird der Blick von der Ferne ins Unheimliche abgelenkt, die Landschaft verwandelt sich in eine Ödnis – verbrannte Erde statt arkadischer Weite.

Wenn wir schon Arkadien verlassen müssen, wo bekanntlich der Tod auch präsent ist: Sind die Flügelräder nicht vielleicht gar Allegorien, die auf Hermes, den flügelbeschuhten Götterboten hinweisen? Oder verweisen sie auf Dädalus und Ikarus, dem, bekanntlich, der Flug in die Höhe zum Verderben gereichte, weil er zu hoch flog und die Sonne den Wachs schmelzte? Lieber wären wir da doch Dädalus, der sich dank der Schwingen aus dem Gefängnis befreien konnte. Ja, wir sind Dädalus und schweben frei über die Weite der Landschaft, so frei, wie wir uns fühlen, wenn wir in der Eisenbahn nach Lausanne fahren und sich plötzlich die Hodlersche Landschaft des Genfersees öffnet.

Apropos Eisenbahn: Ist nicht ihr Symbol eben das geflügelte Rad, ein Symbol, stammend aus einer Zeit, da bereits die Eisenbahn versprach, Raum und Zeit in neue Dimensionen zu bringen?

Nicht genug mit dem Verwirrspiel: Bewegen wir uns vor dem Bild, bewegen sich die Räder. Ihre Perspektive scheint keinen Halt zu bieten. Wir stehen am richtigen Ort, in der Mitte, verlieren dann aber die Landschaft vor lauter Nähe aus den Augen. Wir bemerken: Das Bild ist, was es ist – Farbe auf Wand. Und man weiss: Eine Linie auf einer weissen Wand, einem weissen Blatt ergibt einen Horizont, und flugs erscheint vor unserer Bildidentifikation wieder – eine Landschaft.

Wir bewegen uns davor und darin nach rechts oder nach links: Die Räder scheinen sich nicht fixieren zu lassen. Sie widerstehen der perspektivischen Fixierung – und ein neuer Verdacht kommt auf: Vielleicht hat die Künstlerin die alte Technik der Anamorphose verwendet – und wir müssten nur den richtigen Punkt finden, um das Bild richtig zu sehen. Etwa in der Art, wie Hans Holbein auf seinem berühmten Bildnis zweier Kaufleute in der Mitte der unteren Bildhälfte einen verzerrten Totenkopf malte, der nur von ganz rechts in die richtigen Proportionen rückt. Und zugleich die Porträtierten, das Zentrum aus den Augen rückt.

Verflixt.

Sie erinnern sich: Christiane Hamacher irritierte bereits mit ihrem ersten Wandgemälde – es sind doch eher Wandzeichnungen –, das sie 1997 im FriArt Freiburg präsentierte. Es war eine Raumsonde, die in die Weite des leeren Raums flog: in den leeren Raum der Wand.

Sie erinnern sich: Die Künstlerin zeigte vor sechs in dieser Galerie ein Interieur, angedeutet mit wenigen Strichen. Harmlos auch das, wie es schien.  Aber es führte in die vertrackte Dialektik von Erinnern und Vergessen: mit Bildern aus einem nur in den Umrissen angedeuteten bürgerlichen Milieu in Berlin, einem Milieu, das unter dem Bombenhagel jenes  Kriegs mit den Menschen, die darin lebten, vernichtet wurde. Nur die Erinnerung der Überlebenden, nur Fotografien erinnern noch daran, Bilder, die die Künstlerin auf der Suche nach einer ihr selbst wichtigen Erinnerung in Archiven gefunden hat.

So könnten einige wenige Linien zur explosiven Mischung werden.

Das ist, wie bereits angedeutet, auch bei der zweiten hier gezeigten Arbeit der Fall. Der Rahmen verspricht Luxus. Damit setzt er sich in einem Kontrast zu dieser alten Wohnung, die vermutlich eher ärmlich war. Der Kontrast setzt sich weiter fort im Inhalt des Rahmens: lauter Explosionen, in ein handliches Format gebracht, verharmlosend nur scheinbar, denn wir wissen trotz der Niedlichkeit, dass da die Abbilder von gewaltigen, von Menschen freigesetzten Kräften zu sehen sind. Hiroshima zum Beispiel.

Und jetzt beginnt auch hier das Wandbild wieder zu kippen. Der Rahmen selbst, der doch das Bild halten und bannen sollte, zeichnet plötzlich Formen, die zu explodieren scheinen.

Die Gemütlichkeit ist vorbei.

Eben das meint die Hinterlist, von der zu Beginn die Rede war.

Eben das meint die Wendung: Wir bewegen uns vor bewegten Bildern.

Konrad Tobler. 2007