modes d’emploi

Museum Murten. CH. 1999

Eutelsat

Sepia auf MDF. 300 x 78 cm

modes d’emploi

Acrylic on MDF. 1400 x 230cm

Photos Primula Bosshard

Modes d’emploi. Sondierungen im leeren Raum

Die Wandzeichnungen von Christiane Hamacher

Da ist ein Plan auf der Wand, die Zeichnung eines Raumkörpers. Der Plan ist eine Gebrauchsanweisung für den Raum. Da fliegt also eine Raumstation. Sie streckt ihre Flugflächen weit von sich, sie reckt ihre Arme für die Lageregelung in den weiten Raum, als ob sie ihn, einer Spinne vergleichbar, einfangen möchte.

Der alte Traum der Menschen: in die Unendlichkeit zu fliegen – mit der Raumfahrt hat er sich teilweise erfüllt. Dädalus’ Flug verwirklicht sich in der Figur der Kosmonauten: es ist, als ob der Kosmos, das Weltall, das All der Erfindungskraft der Menschen Flügel verliehen hätte. Raketen und Sonden, Raumstationen und Satelliten erobern die Leere des Raumes, das Unbekannte, das Unendliche Stück für Stück, ohne je eine Grenze erreichen zu können. Ja , die US- Sonde Voyager 1 hat schon den äussersten Rand des Sonnensystems erreicht: noch nie hat ein von Menschenhand geschaffenes Objekt sich so weit von der Erde entfernt, immer weiter, bis es sich in der Endlosigkeit verlieren wird. Und dennoch: diese Raumkörper wirken so klein und endlich, noch immer übersteigen die Erkenntnisse, die sie liefern, unser Weltbild. Noch immer sind wir – Albert Einsteins Einsichten zum Trotz – wie jener König, dem der Hirtenjunge im Märchen klar zu machen versuchte, was die Unendlichkeit sei, nachdem alle an den Hof gerufenen Gelehrten diese das Vorstellungsvermögen übersteigende Frage dem König nicht hatten erklären können. Bis eben dieser Hirtenjunge kam und vom König ein Blatt Papier, Feder und Tinte verlangte, sich hinsetzte und mit der Feder Punkt für Punkt setzte: nach langer Zeit hörte er auf und sagte, das sei der Anfang der Unendlichkeit des Sternenhimmels.

Eine Raumstation auf der zweidimensionalen Wand. Das ist Architektur oder: die Gliederung der Leere. Denn die Wand ist leer. Nur einige präzise gesetzte Kreidestriche markieren den Körper des technischen Geräts, des materialisierten Mythos von Dädalus. Da gibt es keine Angst vor dem Absturz, die Sonne ist noch immer zu fern, und nichts ist weich und mit Wachs zusammengehalten, alles ist niet– und nagelfest. Die Vorlagen für ihre Raumsonden – eben etwa den Voyager 1 – holt sich Christiane Hamacher aus wissenschaftlichen Publikationen, aus dem Internet, so die Vorzüge des technischen Fortschritts benutzend, um an die streng geheimen Pläne der Raumsonden und Stationen heranzukommen. Klar: Die Pläne, die sie benutzt, sind technisch kaum detailliert, sind sie doch geheim, weil der Raum der Unendlichkeit ein Raum der militärisch – industriellen Strategien ist. Aber das spielt für ihre Arbeit in keiner Weise eine Rolle. Denn mit den Raumsonden reproduziert C.H. weder die technische Raffinesse – auch wenn sie diese fasziniert – , noch illustriert oder denunziert sie den technischen Fortschritt. Sie sondiert ganz einfach den Raum. Sie umzeichnet und bezeichnet den Raum auf der leeren Fläche – den mythologischen, astronomischen, wirtschaftlichen und militärischen Kontext dennoch im Hinterkopf.

Aus dieser Distanz betrachtet ist die Raumstation, die C.H. – sie reflektiert vorher lange die Raumsituation – mit dem Projektor an die Wand wirft, im Raum: ganz körperlich streckt sich der Plan des Raumkörpers in einem grossen, leeren Bildraum aus. Dieser erweitert sich für die Wahrnehmung fast automatisch zum All, obwohl er weiss und begrenzt ist. Je mehr sich der Blick dem Bildkörper nähert, desto flacher wird dieser; er löst sich in ein feines Liniennetz auf und durchbricht so die Leere der weissen Wand, die der in die Fläche gezeichnete Körper vorher fast skulptural bestimmt hat. Nun, aus der Nähe, sind da nur noch die Kreidestriche und die weisse Wand, ist da nur das Durchbrechen der weissen Leere und die gleissende Leere selbst. Jede Linie, von der Oberfläche der Wand in eine leichte Vibration versetzt, wird zum Abenteuer auf der berühmten leeren Fläche, die die Malerinnen der Legende nach so sehr fürchten. Jede Linie bestimmt, weil C. H. sie so bestimmt setzt, ein Feld im weiten Raum.

So überraschend ein solcher Vergleich sein mag, so verwandt ist dennoch die Wirkung von C.H.s Wandzeichnungen mit der Art und Weise, wie Brice Marden seine Linien zieht und damit den Leerraum umspielt oder: erst recht schafft. Am Ende sind nicht die Linien das

Zentrum, vielmehr fokussieren sie den Blick wirklich auf das, was sie bezeichnen: das Nichts. Dieses dem Unendlichen Verwandte Nichts entsteht durch die Zeichnung, verwirklicht sich im dialektischen Spiel von Nichts, das erst Etwas ist, wenn Etwas ist und umgekehrt vom Etwas, das nur Etwas ist, wenn Nichts ist. Hier setzt C.H. mit ihren Zeichnungen an: am Ursprung des Bildes, der in den Vibrationen der Linien, in ihrem präzisen Zustand des möglichen Verschwindens, kurz: in diesem Spiel von Präsenz und Absenz sichtbar wird. Denn dafür sind die Raumsondierungen von C.H. nicht einfach Metaphern, sondern reelles Bild. Überprüfbare Anschauung, die die Gedanken zum Fliegen bringen.

Genau das ist der Plan oder das Vorhaben der präzisen Wandzeichnungen von C.H.

Das gilt auch für ihre neusten Arbeiten. Es sind einfache Gebrauchsanweisungen und darin den Plänen verwandt – eben als Anweisungen für die richtige Umsetzung: Wie wechsle ich den Toner in einen Fotokopierer? Wie brauche ich – eine schwierige Frage – eine Reisetrockenhaube aus den Sechzigerjahren? Was zuerst als simple Vergrösserung im Medium der Wandmalerei erscheint, entpuppt sich als fast hinterhältiges, jedenfalls raffiniertes Spiel mit der Wahrnehmung. Das Spiel geht vom Alltag aus, in dem vom Kochrezept bis zur komplizierten technischen Anweisung immer wieder Gebrauchsanleitungen unseren Umgang mit nützlichen (und unnützen) Dingen bestimmen.

Hier gibt es eine Bildsprache, die deutlich macht, wie sehr dieser Umgang komplex geworden ist, wie sehr der Alltag von Gesetzen beherrscht wird, die nicht weniger erstaunlich sind als diejenigen, die die Raumfahrt bestimmen(Produkte übrigens, die teilweise, wie das Teflon, eben aus dem Bereich der Raumfahrt stammen). Gebrauchsanweisungen sind Anleitungen für technische Analphabeten, mit Zeichnungen, Symbolen, kurzen Texten – übersehene Piktogramme des Alltags. Was C.H. daraus mach, sind Piktogramme der Wahrnehmung.

Durch extreme Vergrösserung auf die Wand entstehen Bilder, die als eigentliche Architektur des Sehens betrachtet werden müssen. Denn was in der Anleitung Klarheit schafft, verunsichert in der Vergrösserung. Was in den kleinen Prospekten – und seien es Pläne für den Modellbau der Raumstationen – Übersicht verspricht, verwandelt sich hier in ein Rätsel über den Gang und die Konstruktion der Dinge.

Es ist ein schönes Rätsel, in dem das Wechselspiel von Schrift und Bild, schnell erfasster Bedeutung und Entzug der Bedeutung eine wichtige Bedeutung spielen. C. H. lässt so Formen entstehen, die den Blick bis hin zum schwarzen oder weissen Quadrat von Kasimir Malewitsch fliegen lassen. Damit vorerst, der weite Bogen gespannt: von der Kleinteiligkeit der „Modes d’emploi“ bis hin zu den Sondierungen im weissen oder eben leeren Raum. Was hier entsteht auf der Wand, immer wieder verschwindend, weil immer wieder übermalt, sind stetige ästhetische Herausforderungen: Sondierungen der Wahrnehmung. Oder „Modes d’emploi“.

Konrad Tobler